Kanonendonner hallten am Wochenende des 25. und 26.06.2022 durch das enge Rheintal. Sie kündeten von einem besonderen Ereignis: Dem 777. Jahrestag der Erbauung von Burg Rheinfels im Jahr 1245 durch Graf Diether V. von Katzenelnbogen.

Seit alters her ist die bereits in der Bibel stark symbolbeladene Zahl Sieben eine magische und mystische Zahl. In dreifacher Aneinanderreihung steht sie für Gerechtigkeit und die göttliche Vollkommenheit. Uns Heutige erinnert sie vielleicht eher an den Jackpot im Glücksspielautomaten. Wie auch immer, Stadtbürgermeister Falko Hönisch fand, das sei eine schöne Zahl und ein Grund zum Feiern. Worauf hin die Leiterin des Burgmuseums, Ingrid Leonhard, ihre Freunde aus der Szene der historischen Darsteller zur Zeitreise auf Burg Rheinfels einlud. Und diese ließen sich nicht lange bitten, kamen nur zu gerne an den Rhein, brachten außer ihren bunten Zelten, vielen historisch nachempfundenen Ausrüstungsgegenständen und schweren Kanonen auch noch weitere Freunde des Re-Reenactments – der lebendigen Geschichtsdarstellung – mit. So stellte sich eine illustre Schar authentisch Gewandeter aus vielen Epochen vom 12. bis ins 19. Jahrhundert auch aus entfernten Regionen Deutschlands auf Rheinfels ein, die von einer Fahnenabordnung der Schützengesellschaft 1344 zu St. Goar e.V. in ihren schmucken grünen Uniformen begrüßt und begleitet wurde.

Die Darsteller kommen!

Bereits am Donnerstag reisten die Kanoniere vom Litermont-Bündnis 1357 aus Nalbach im Saarland mit ihrem Blidenmeister Frank Albrecht und ihrem liebevoll „Jehanne“ genannten Nachbau einer Burgunderkanone sowie weiteren Geschützen und Hakenbüchsen an und bauten ihr Lager in der Burg auf. Viele Male zuvor waren Frank und seine Mitstreiter schon auf die Rheinfels gekommen um das Gelände für das Feldlager in Absprache mit Ingrid Leonhard und Kerstin Haasenritter von der Touristinformation, die die Organisation des Events übernommen hatte, zu sondieren und die Zeltplätze einzuteilen. Schließlich galt es auch waffenrechtliche Genehmigungen für das Böllern und Tragen historischer Waffen zur Brauchtumspflege einzuholen sowie Brennholz für das Lagerfeuer der Kochstellen durch den städtischen Bauhof zu beschaffen und bei all dem noch die Emissionsschutzrichtlinien für die Feinstaubbelastung zu beachten sowie obendrein für Parkplätze, Speiß und Trank der Akteure zu sorgen.

Wenige Stunden später trafen auch ihre Kampfgefährten von „Signum Aquilarum“ aus Thüringen mit ihrer „Rauen Else“ ein, ebenfalls einem Nachbau einer Kanone aus dem 15. Jahrhundert. Sie freuten sich auf ein Wiedersehen mit ihren Kameraden von der Saar und nahmen den weiten Weg an den Rhein gerne in Kauf. Dafür haben die Freunde sogar ihr wichtiges Verbandstreffen zur Europameisterschaft der Schwarzpulver Kanoniere auf dem Truppenübungsplatz der Bundeswehr in Sondershausen in Thüringen sausen lassen. Im Gegensatz zum Böllern auf Burg Rheinfels wird dort mit scharfer Munition Kaliber 60 mm geschossen. 2019 erzielte Heiko Kurzenberger vom Litermont-Bündnis die meisten Treffer und wurde Europameister.

Auch die mehrfache Weltmeisterin im Vollkontakt-Schwertkampf der Eisen-Liga, Melanie Gras mit ihrem Ehemann Markus aus Boppard-Bad Salzig, schlugen ihre Zelte im Halsgraben auf und fieberten dem Übungskampf mit den am Sonntag hinzu kommenden Kameraden der „Eisernen Ritter“ entgegen.

Als besonderer Gast hatte sich Michael Gojowy als Landgraf Philipp I. von Hessen – „Der Großmütige“ – mit Partnerin Yvi als Landgräfin Christine in prachtvollen, selbst geschneiderten Renaissance-Gewändern eingefunden. Begleitet wurden sie von seiner Leibwache, einem mit einem gewaltigen Bihänder bewehrten Landsknecht sowie einer Zofe. Michael Gojowy war glücklich nach langer Zeit mal wieder auf seiner Lieblingsburg Rheinfels zu „residieren“. Mit seinem großen Geschichtswissen erwies er sich als kompetenter und anregender Gesprächspartner der Museumsleiterin bei ihrem Rundgang durch die neugestaltete Ausstellung. Das verspricht Synergieeffekte für zukünftige Projekte.

Als nach und nach weitere alte Freunde eintrafen – als Grafenpaar von der Ileburg im Hunsrück oder „Einzelkämpfer“ des Hessen-Hanau Regiments Erbprinz und vom preußischen Jäger-Regiment aus dem 18. Jahrhundert sowie ein Grenadier des 111. Regiment de Ligne von Napoleons Grande Armée, ein preußischer Leib-Husar von Anno 1813 und gar ein Franzose als preußischer Artillerist mit Pickelhaube wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten – wurden sie stilecht von Ingrid Leonhard in der Gewandung eines Kommandanten der Festung Rheinfels während des Dreißigjährigen Krieges herzlich begrüßt. 

Auftakt zum Fest

Nach dem Antreten im Burghof am Samstagmorgen und Einmarsch aller Teilnehmer in die innere Burg hieß Stadtbürgermeister Falko Hönisch bei strahlendem Sonnenschein in Begleitung des Ortsvorstehers der Kernstadt, Richard Vogel sowie der Fraktionsvorsitzenden der SPD im Stadtrat, Pia Trimpe-Müller, am Görtz-Platz die zahlreich erschienenen historischen Darsteller und Gäste aus Nah und Fern willkommen und freute sich nach der Corona-Pause über die vielfältige Wiederbelebung der Burg zu ihrem 777. Jahrestag. Er dankte den Akteuren für ihr Mitwirken und wünschte frohes Gelingen. Dabei war es ihm ein Vergnügen dem Maskottchen der „Eisernen Ritter“, der Boxerhündin Paula eine Portion extra viele Streicheleinheiten zu Teil werden zu lassen. Sein besonderer Dank galt Ingrid Leonhard für die Planung und Kerstin Haasenritter, die als Burgmagd Marie die Akteure vortrefflich betreute und bereits am Abend zuvor eine mittelalterliche Burgführung mit Weinprobe zusammen mit Winzer Thomas Philipps absolviert hatte, für die Organisation dieses tollen Events, bei dem der Stadt St. Goar ein großer Gewinn, doch keine nennenswerten Kosten entstanden seien.

Burgbarde und Songpoet Alwin Eckert stimmte die Gäste mit dem selbst verfassten Trinklied „Drei Liter Wein“ fröhlich auf die Geburtstagsparty der besonderen Art ein. Worauf „Landgraf Philipp I. von Hessen“ begeistert ausrief: „Wir haben eine neue Hymne!“


Kanonendonner überm Tal

Kanonier Frank Albrecht präsentierte nun die bergseits über den Halsgraben hinweg ausgerichtete Artillerie und erklärte dem interessierten Publikum die Vielfalt der Geschütze und deren Bedienung sowie sich auf sein Zeichen hin während des Schießens wegen der Druckwellen die Ohren zuzuhalten und den Mund leicht zu öffnen. Auch ließ er die Zuschauer an der sprichwörtlichen „Lunte riechen“ und machte so den Begriff verständlich, dass man so den quasi unsichtbaren Feind bereits durch die eigentümlich riechende brennenden Lunte aufspüren konnte.

Für den St. Goarer Schützenhauptmann Martin Borgs war vor allem der Gebrauch der Doppelhakenbüchse von Interesse. Authentisch vorgeführt von Uwe Saager aus Krefeld wurde die schwere Hakenbüchse auf dem Geländer eingehakt. Die nach historischem Vorbild geschmiedete Waffe bestand aus einem dicken achteckigen Eisenrohr Kaliber 27 mm mit Haken, Stange und Griffstück – eine wahre Donnerbüchse, eher vergleichbar einer heutigen Panzerfaust als einem Gewehr. Nach dem Anlegen des Luntenstocks krachte die Schwarzpulverladung los und weckte wohl den letzten Langschläfer. Mit dem Schuss aus einer solchen Doppelhakenbüchse hatte einst die Ikone der St. Goarer Schützen, der Drechslermeister Johann Kretsch, während der großen Belagerung durch französische Truppen im Jahr 1692 den Oberbefehlshaber General Graf de Tallard so schwer verwundet, dass die Belagerung unterbrochen wurde, Hessen-Kassel Truppenverstärkung in die Festung Rheinfels einbringen konnte und letztlich die Franzosen das Weite suchten. Und spätestens mit dem anschließenden Donnern der Kanonen wurde jedem bewusst, was es bedeutete, wenn die Rheinfels einst wochenlang belagert, beschossen und verteidigt wurde.

Schwertkampf

Das Highlight am Sonntag war dann der Schwertkampf der „Eisernen Ritter“. Bereits sehnsüchtig von vielen Kindern mit ihren Eltern erwartet steckte die Verstärkung des Teams um Melanie Gras im Autobahnstau fest. Auch sie wohnten zum Teil nicht gerade um die Ecke. Und sich in die ritterlichen Konservendosen zu zwängen, das dauerte. Aber das Warten lohnte sich. Die Ritter schlugen sich, was das Zeug hielt, mit Bravour. Geschickt zeigten sie in ihrem Übungskampf mit reichlich Schwertgeklirr allerlei Abwehrmanöver und hinterhältige Attacken, dabei konnten sie in ihren Helmen ja kaum etwas erkennen. Fasziniert von den blitzenden Rüstungen und bunten Wappenröcken der Ritter dankte es das Publikum mit begeistertem Applaus.

Etwas beschaulicher war es dagegen in einem Nebenraum des Museums. Hier hatte Burgführer Klaus Hinner als preußischer Landwehrmann in einer kleinen Sonderausstellung aus seiner privaten Sammlung präsentiert, was ein Soldat so alles in seinem Tornister mitschleppte. Und wie das ebenfalls historisch gekleidete Museums- und Burg-Team bestätigte, waren die vielen Besucher positiv überrascht, brauchten sie doch für das Erlebte nicht mehr Eintritt zu zahlen als sonst.

Austausch und Ausklang

Im romantischen Innenhof war die Tafel inmitten des Feldlagers auf der kleinen Bühne bei der „Apotheke“ aufgeschlagen. Hier fand sich Gelegenheit bei einem Becher Wein einen Schwatz mit alten Freunden und Bekanntschaft mit neuen Gesichtern zu machen und neue Freundschaften zu schließen. Hier saßen sie in bunter Eintracht beisammen: Der feine Hamburger Edelherr aus dem 12. Jahrhundert mit Napoleons und Blüchers Soldaten. Die Grafen mit Burg-Magd Marie und Wallensteins wackerem Söldner aus Sachsen – oder stand er in schwedischen Diensten? Wer weiß das schon noch? Sie alle waren restlos begeistert von der überwältigenden Location. Und alle waren sich einig: Die Burg Rheinfels hat so unglaublich viel Potential – wir kommen wieder!

Text: Ingrid Leonhard / Bilder: Martin Haasenritter